Seelenschmerz

Traum Part 3

Der dunkle Engel und Sie  
Part 3

Die tiefe, dunkle Stimme in ihrem Kopf sagte: 'Komm'. 
Und sie sprang. Ließ sich einfach in den Abgrund fallen.
'Komm', hatte der Dunkle Engel gesagt. Sie hielt die Augen geschlossen, die Arme eng an ihren Körper gepresst. Beugte sich nach vorne, bis sie merkte, dass sie das Gleichgewicht verlor und vornüber kippte. Ihre Füsse verloren den Halt und sie fiel. Fiel. Ließ sich einfach fallen. Sie spürte, wie sie fiel, aber sie hatte keine Angst. Sie vertraute dem Dunklen Engel, wollte für immer bei ihm bleiben. Rasend schnell wurde ihr Fall, und noch immer hielt sie ihre Augen geschlossen.
Doch nun breitete sie ihre Arme aus, als wären es schwarze Flügel. Dunkelheit und Stille um sie herum. Und sie fiel und fiel. Kein Licht, kein Ton. Nur ihr Fall. Lautlos. Und irgendwie auch schwerelos.
Seltsam? Sie merkte auf einmal, wie sie begann, zu schweben. Sie blinzelte vorsichtig. Kein Licht, kein Ton. Dunkelheit und Stille um sie herum. Ihr Fall verlangsamte sich, sie hatte das Gefühl, als wäre sie unter Wasser. Schwerelos. Sie versuchte, sich zu bewegen, eine kleine Drehung, als tauchte sie im Wasser auf und ab. Sie lächelte leise, als sie bemerkte, dass sie sich in alle Richtungen drehen konnte. Jetzt wurde sie neugierig. Sie zog die Beine an, streckte die Arme über dem Kopf aus und drehte sich. Vorwärts, Rückwärts, wieder und wieder. Das gefiel ihr, und sie lachte, lachte aus vollem Herzen. Nein, sie spürte keine Angst. Sie fühlte sich gut. Entspannt. Frei. Noch nie hatte sie sich so frei gefühlt. Sie dachte voller Wärme an den Dunklen Engel. 'Danke, danke, danke', dachte sie.
Moment mal!? Wo war er? Jäh setzte die Schwerkraft wieder ein. Und sie fiel wieder in diesen Abgrund. Sie schloss die Augen fest, und presste wieder ihre Arme an sich. Rasend schnell fiel sie in die Tiefe. Und fiel und fiel.
Ein gewaltiges Rauschen ertönte, gleich tausend Flügelschlägen um sie herum. Überall um sie herum schwarze Flügel. Sie peitschten ihr ins Gesicht. Sie versuchte, ihr Gesicht mit ihren Händen zu bedecken. Flügelschläge überall, Hände griffen nach ihr, zerrten an ihrem Haar, ihren Armen und Beinen, als wollten sie sie in Stücke reissen. Und immer wieder peitschten die Flügel auf sie ein. Sie spürte keine körperlichen Schmerzen, nein, aber sie spürte, wie ihre Seele schrie.
Sie schrie, laut und schrill, um Hilfe: 'Hilf mir, mein Engel', alles in ihr schrie.
Und noch immer rauschten die Flügel um sie,  und peitschten ihr ins Gesicht. Noch immer zerrten Hände an ihr, und schienen sie zerreissen zu wollen. Und sie versuchte, sich zu wehren, schlug um sich, schüttelte da eine Hand weg, fegte dort einen Flügel beiseite, und noch immer schrie sie. Langsam versagten ihre Kräfte, und langsam versagte ihre Stimme. Und noch immer fiel sie und fiel.
Was war nur passiert? Er sagte doch, sie bräuchte keine Furcht zu haben, und als sie sich entschied, zu springen, fühlte sie sich doch so sicher. Sie hatte ihm vertraut, dem Dunklen Engel. Hatte er sie allein fallen lassen? Wo war dieses warme Gefühl, unter seinen riesigen schwarzen Flügeln geborgen zu sein? Wo war dieses Gefühl, keine Macht der Welt könnte ihr etwas antun?
Und sie schlang ihre Arme um ihren Körper, als hielte sie sich selbst fest. ihre Fingernägel gruben sich in das Fleisch ihrer Oberarme, so fest umschlang sie sich. Sie schrie ein letztes mal. Ein lautes, schrilles Kreischen, aus ihrer tiefsten Seele.
Sie schloss die Augen fest, und liess sich wieder einfach fallen. Wie lange sie so fiel, bemerkte sie nicht. Das Rauschen der Flügel um sie herum wurde weniger, und auch das bemerkte sie nicht. Die Hände, die nach ihr griffen, wurden weniger, und auch das bemerkte sie nicht. Sie fiel und fiel.
Langsamer wurde nun ihr Fall. Sie fühlte sich mit einem Mal wieder so, als fiele sie durch Wasser hindurch. Noch zaghaft löste sie die Finger, öffnete sie die Arme und breitete sie ein wenig aus. Kein Licht, kein Ton. Sie streckte die Arme weiter von sich.
Mit einem Ruck wurde plötzlich ihr Fall gebremst. Sie spürte, wie jemand ihr von hinten unter die Arme griff, und verstand sofort: er war wieder da. Sie spürte deutlich seine Nähe. Seine Flügel waren es, die ihren Fall nun bremsten. Seine Hände umschlossen sie, hielten sie sicher fest.
Seine tiefdunkle Stimme erklang in ihrem Kopf: 'Hab keine Furcht, ich bin da', vernahm sie.
Sie hielt die Augen geschlossen, und lehnte ihren Kopf zurück an seine breite Brust. Sie lächelte und ergab sich ihm.
'Trage mich fort von hier', bat sie stumm, 'fort, nur lass mich bei dir bleiben'.
Sie spürte seine angespannten Muskeln und bemerkte das gleichmäßige Rauschen seiner schwarzen Flügel. Wohin? Einerlei, solange er bei ihr war. Solange er sie nicht verließ. Sie ließ sich gerne von ihm tragen, genoss es, in seinen Armen davon zu schweben.
So bemerkte sie auch nicht, wie er immer langsamer wurde, und noch langsamer, um schliesslich in der Schwebe zu verharren.
Sacht blieb er auf der Stelle stehen. Schläfrig war sie geworden, und sie blinzelte, als sie spürte, dass er angehalten hatte. In ihrem Kopf erklang diese eine Melodie, die ihr schon so sehr vertraut war.
'Wo sind wir?',  murmelte sie verschlafen. Er löste seinen Griff und strich ihr durchs Haar. Sie schien auf der Stelle zu schweben, aber er war bei ihr und sie spürte keine Furcht.
Nun schwebte er vor ihr und sah ihr in die Augen. Sie schaute ihn an, sah in seine Augen und verlor sich in einem Meer von Sternen und Dunkelheit, als könnte sie in seinen Augen ein Stück Ewigkeit sehen. Wieder strich er ihr sacht durchs Haar.
'Lass es niemals enden', dachte sie.
Wie eine Antwort erklang seine Stimme: 'Niemals'.
Eine nie gekannte Wärme durchströmte sie, als er ihre Hände ergriff. Fest drückte er sie. 'Ich werde immer bei dir sein', hörte sie ihn sagen, 'hab keine Angst. Du sollst nie wieder Angst haben, nie wieder'.
Alles in ihr bebte, so, als flösse seine Kraft durch ihren Körper. Helles Licht durchströmte sie. Der Griff seiner Hände löste sich von ihren. Er verschränkte die Arme vor seiner Brust und sah sie lächelnd an. Sie bemerkte, wie er sich langsam von ihr entfernte. Entspannt breitete sie ihre Arme aus.
Sie strahlte vor Glück, Glück, welches sie nie zuvor gekannt hatte. Immer weiter entfernte er sich von ihr, und sie sah ihm lächelnd dabei zu. Bald verharrte er auf einer Stelle und strahlte sie an...


... und irgendwo, in einer kleinen Stadt, sitzt eine junge Frau am Fenster. Es ist Nacht, und sie kann nicht schlafen. Ihr Kopf schmerzt, und sie hat viel zu viel geweint. Sie hält sich an einem Glas Rotwein fest, und schaut mit traurigen Augen in den Himmel.
Und ein scheues Lächeln kommt über ihre Lippen, als sie, weit, weit entfernt, zwei geheimnisvoll funkelnde Sterne sieht...
 

Mit freundlicher Genehmigung von Fledermaus30
http://www.keinverlag.de/129890.text


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