Seelenschmerz

Traum Part 2

Der dunkle Engel und Sie   
Part 2
            

Lange war es her, dass einst ein dunkler Engel sie im Traum besuchte. Oft hatte sie voll Sehnsucht daran gedacht. Wieder und wieder rief sie sich diesen einen Traum zurück in ihr Gedächtnis. Um keinen Preis wollte sie vergessen.
So wirklich kam es ihr damals vor, als sie seinerzeit erwachte. Damals träumte sie, dass der dunkle Engel ihr Gesicht bemalt hatte, und als sie erwachte, lief sie ins Bad, um zu sehen, ob die weiße und die schwarze Farbe und der blutrote Lippenstift noch da waren. Beinahe enttäuscht war sie, und lächelte dennoch.
Seit dieser Zeit verlor sie sich oft in Tagträumen, und dachte noch oft und oft an ihren Dunklen Engel. Ach, würde sie ihn doch nur noch einmal sehen können. Wann immer sie in den Sternenhimmel sah, dachte sie an ihn. Aber so sehr sie sich auch anstrengen würde, Träume haben keine Fortsetzung. Oder? Nein. Träume sind vorbei, wenn der Morgen erwacht. Dachte sie. Bis zu dieser Nacht.
Sie war alleine und wollte zu Bett gehen. Es war noch recht früh, und unruhig wanderte sie in ihrer Wohnung umher.
‚Was soll’s?‘ dachte sie, zog sich an und ging aus.
Lange fuhr sie einfach nur mit ihrem Auto durch die kleine Stadt, bis sie sich vor der Diskothek wiederfand. In leuchtend roten Buchstaben stand über dem Eingang ‚Factory‘. Sie überlegte nur kurz, stellte ihr Auto ab und ging hinein. Viel war nicht los für einen Freitag Abend. Es war ja auch kaum später als 23 Uhr. Sicher würde es noch voller werden. An der Bar nahm sie auf einem Hocker Platz und bestellte eine ‚Bloody Mary‘.
Sie musste schmunzeln. ‚Wie passend‘, dachte sie, schaute sich um und sah einige vereinzelte, ganz in schwarz gekleidete Personen. Natürlich war auch sie ganz in schwarz angezogen. Schwarze Jeans, schwarze Stiefel, schwarze Bluse. Ihr langes dunkles Haar floss offen ihren Rücken herunter. Sachte strich sie sich eine Strähne hinters Ohr. Sie trank an ihrem Cocktail und ihr Blick wanderte durch die große Halle. Ja, tatsächlich wurde es langsam voller. Es tanzten nur wenige, aber es wurden immer mehr. Die Musik gefiel ihr recht gut. Sie liebte es, wenn der Bass in ihrem Bauch vibrierte. Ein merkwürdiges Stück Musik war das. Fast wie aus dem Mittelalter. Sie leerte ihr Glas und ging die Stufen hinunter in Richtung Tanzfläche.
Zuerst bewegte sie sich zögerlich, bis sie etwas lockerer wurde. ‚Schon seltsam‘, dachte sie, und bewegte sich ein wenig mehr. Mit einem Mal krachte ein Schlagzeug Solo, gefolgt von einem irren Gitarrenriff. Das ging wie ein Ruck durch ihren Körper. Sie warf ihr Haar zurück und lachte laut auf. ‚Mittelalter meets Metall‘, dachte sie. Schneller und schneller wurden ihre Bewegungen. Sie nahm niemanden mehr wahr, tanzte ganz für sich allein. Sie warf sich der Musik entgegen, alles in ihr erbebte. Ein Stück folgte auf das andere, und sie tanzte, tanzte, tanzte. Der Beat fuhr durch ihren Kopf, durch den Bauch in ihre Beine. Sie warf die Arme hoch, schüttelte ihr Haar und befand sich beinahe in Trance. Nichts nahm sie mehr wahr. Das dumpfe Dröhnen des Basses und das helle Geschrei der Gitarre trug sie fort von hier. Sie hielt die Augen geschlossen, und umschlang sich selbst mit ihren Armen. Weiter fort, nur weiter fort. Grelles Licht blendete sie hinter ihren geschlossenen Augen. Sie blinzelte. Stroboskop-Licht zuckte um sie herum.
Plötzlich erstarrte sie. Das konnte doch nicht wahr sein? Er stand ihr direkt gegenüber! Er! Sie schloss die Augen, noch einmal schaute sie in das zuckende Blitzlicht. Nein, dachte sie, das kann nicht sein.
Als sie wieder aufsah, stand er vor ihr. Sie stand da, wie vom Donner gerührt. Und er? Er sah sie an, und er lächelte. Er streckte die Hand nach ihr aus und berührte sie am Arm. Sie zuckte zusammen. Tränen liefen über ihr Gesicht. Er nahm ihre Hand und drückte sie für einen kurzen Moment.
In ihrem Kopf hörte sie seine Stimme: ‚Tanz mit mir‘.
Sie schüttelte den Kopf, ungläubig starrte sie ihn an. Aufmunternd lächelte er ihr zu. Zögernd ließ sie sich von ihm in die Mitte der Tanzfläche führen. Sie konnte es nicht fassen. Er war da, war bei ihr. Ihr Stern, ihr dunkler Engel. Sie blinzelte wieder und wieder. Schaute ihn an. Sachte umarmte er sie, fasste sie an den Hüften und begann, mit kleinen Schritten zu tanzen. Schüchtern ließ sie sich von ihm führen.
In ihrem Kopf hörte sie eine langsame, klagende Melodie. Sie sah ihn an, erwiderte seine Umarmung, und bewegte sich mit ihm. Ob die anderen die selbe Musik wahrnahmen? Einerlei, sie umfaßte seine Schultern und tanzte mit ihm. Ein warmes Gefühl durchströmte sie. Sie schloß die Augen. Er führte, sie folgte.
Als sie die Augen wieder öffnete, war alles um sie herum in Licht getaucht. Fast schien es, als wären sie alleine. Immer noch klang diese langsame Melodie. Es kam ihr vor, als träumte sie. Wie damals, als er durch die Nacht ging mit ihr. In ihrem Kopf hörte sie ihn.
‚Hab keine Furcht‘, schien er zu sagen. Furcht? Aber nein. Sie vertraute ihm bedingungslos. Ließ sich immer weiter und weiter von ihm führen. Sie spürte den Boden unter ihren Füßen nicht mehr, so, als schwänge er sich in die Luft mit ihr. Weiter und höher, und noch immer tanzten sie zu dieser Melodie in ihrem Kopf. Süß und schwer war diese Melodie. Um sie herum wirbelte die Luft. Sterne funkelten, Lichter blitzten. Höher und höher. Sie umfaßte seine Schultern fester und ließ sich davon tragen.
Und was tat er? Seine Hände hielten ihre Hüften, und seine großen, schwarzen Flügel umschlossen sie beide. Sie schloß die Augen und überließ sich ihm. Dann wurde es dunkel. Still.
Seine Flügel öffneten sich langsam und bedächtig. Unter ihren Füßen spürte sie einen weichen Boden. Er zwinkerte ihr zu und nahm sie bei der Hand.
‚Folge mir‘, schien er ihr zu sagen, mit dieser einladenden Geste seiner Hand. Zusammen gingen sie Schritt um Schritt, Meter um Meter. Wie weit? Wie lange? Was bedeutete schon Zeit und Raum? Er war hier mit ihr. Eine Welle von Glück überflutete sie.
‚Mag diese Nacht niemals enden‘, dachte sie.
Wie eine Antwort klang es in ihr: ‚Ist es das, was du willst?‘
Sie sah zu ihm. ‚Laß mich bei dir bleiben‘, flüsterte sie.
Wortlos zog er sie weiter. Er ging mit ihr zu einem Halbkreis aus Steinen. Hob sie sachte auf die Arme. Verwirrt schaute sie sich um. Er stand auf einem Stein, unter seinen Füßen klaffte ein Abgrund.
‚Ein merkwürdiger Ort‘, dachte sie. Sie schaute hinab. Tief hinunter ging diese Schlucht. Er hielt sie fest, beugte sich mit ihr über den Rand der Steine. Und sie fasste seine Hand fester.
Wieder klang eine tiefe, dunkle Stimme in ihrem Kopf: ‚Komm!‘.
Sie zögerte nur einen winzigen Moment. Entschlossen sah sie ihn an. Alles in ihr bebte.
‚JA!‘ schrie sie. Und der Dunkle Engel ließ ihre Hand nicht los.
Ein Ruck ging durch ihren Körper und sie sprang mit ihm in den Abgrund. Immer schneller wurde ihr Fallen. Sie umklammerte seine Hand. Wieder umschloss er sie mit seinen gewaltigen Schwingen. Sie barg ihr Gesicht an seiner Schulter. Tränen liefen über ihre Wangen. Sie fiel und fiel........

In einer Diskothek in einer kleinen Stadt trugen zwei Männer in weißen Uniformen eine zugedeckte Frau auf einer Trage zu einem Wagen.
Einer der Notärzte schüttelte bedauernd den Kopf. Er schaute hinauf in den Himmel. Sterne funkelten in der Nacht. Er schlug das Tuch zurück, betrachtete für einen Augenblick still das Gesicht der jungen Frau.
Er deckte sie wieder zu und wandte sich traurig ab: ‚....verfluchte Drogen‘, murmelte er, und die uniformierten Männer in Weiß  schlossen leise die Tür des Wagens
.
 


Mit freundlicher Genehmigung von Fledermaus30
http://www.keinverlag.de/129889.text



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